Das Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht
siehst!“ oder der Film „Matrix“ scheinen realer zu sein, als wir annehmen. Denn
tatsächlich ist es so: Nur 10 Prozent sehen wir mit unseren Augen, den Rest mit
anderen Bereichen unseres Gehirns.
Die Neurowissenschaft geht der Frage nach, warum kein Zweiter die Welt so
sieht, wie man selbst. Und ob das, was man sieht, auch wirklich die Realität
ist?
Die Neurowissenschaft sagt: Nein. Die Welt ist
anders, als wir sie sehen. Unsere Wahrnehmung ist unvollständig und trügt, wo
sie nur kann. Permanent manipulieren wir, was wir sehen, schließen unbewusst
Lücken, damit das, was wir erwarten, auch sichtbar wird. Hier kommen also die
90 Prozent der Hirnbereiche ins Spiel, die unsere Wahrnehmung ergänzen.
Was ist also Realität? Was ist Illusion? In dem Film „Matrix“ gibt es eine
Schlüsselszene, in der die Hauptfigur Neo zwischen einer blauen und einer roten
Pille wählen darf: „Nimm die blaue Pille, die Geschichte endet, du wachst
in deinem Bett auf und glaubst, was du auch immer glauben willst. Nimm
die rote Pille, du bleibst hier im Wunderland und ich werde dir zeigen,
wie tief das Kaninchenloch reicht.“ Neo entscheidet sich gegen die blaue Pille,
die ihm weiterhin eine Illusion vorgaukeln würde.
Und für das „Wunderland“, die Realität, symbolisiert durch die rote Pille.
Das verändert seine Wahrnehmung komplett, vor seinen Augen entsteht eine völlig
neue Welt.
ALLES IST SUBJEKTIV
„Die Vorstellung, dass das, was wir sehen, nicht das ist, was tatsächlich
existiert, ist ebenso verstörend wie faszinierend“, heißt es bei Lotto. In
diesem Zusammenhang ist beispielsweise das Höhlengleichnis des Philosophen
Platon zu sehen oder Kants Begrifflichkeit vom „Ding an sich“ – beide Theorien
kommen einfach gefasst zu einer ähnlichen Auflösung: der Mensch hat keinen
Zugang zu einer objektiven Realität!
TÄUSCHUNGSBILD
„Wir sehen die Realität nicht. Die Welt existiert. Aber wir sehen sie
nicht. Wir erleben die Welt nicht so, wie sie wirklich ist, weil sich unser
Gehirn nicht dazu entwickelt hat. Es ist eine Art Paradox: Unser Gehirn
vermittelt uns den Eindruck, unsere Wahrnehmungen seien objektiv und real, und
dennoch versperren uns die sensorischen Prozesse, die eine Wahrnehmung
überhaupt erst ermöglichen, den direkten Zugang zur Realität“.
MUT ZUR LÜCKE
Genau das sehen Neurowissenschaftler zeitgleich
als Lösungsweg: „Unsere unvollständige Wahrnehmung ist kein Manko, sondern
unsere große Chance für mehr Kreativität, Glück und Erfolg! Indem wir lernen,
anders zu sehen, können wir uns selbst und die Welt verändern!“
Die Unvollständigkeit, das Ungewisse zulassen, heißt die Wahrnehmung zu
„entautomatisieren“. So kann sich neues Potenzial entfalten. Unsicherheiten und
Zweifel sieht er als Motor für Veränderung und Innovation. Lückenhaftes Denken
als eine Chance zur Entwicklung – sowohl für uns als Individuum, als auch als
Gesellschaft.
Artikel von: LIGIA DANA TUDORICA, am 1.5.2018, https://www.bild.de/bild-plus/ratgeber/psychologie/sehen/jeder-sieht-seine-eigene-realitaet-54807094.bild.html